Nach dem hohen Flug kommt der tiefe Fall: Viele Kinderdarsteller, die schon früh ins Rampenlicht treten und bereits in jungem Alter weltweite Erfolge feiern, rutschen später in eine Spirale aus Drogen, Gefängnis und Depressionen ab. Doch warum ist das eigentlich so?
Als erster Kinderstar gilt Jackie Coogan, der 1920 in Charlie Chaplins „The Kid“ seinen Durchbruch feierte. Er musste später gegen seine Mutter und seinen Stiefvater vor Gericht ziehen, da diese sein Vermögen verprasst hatten. Daraufhin wurde der bis heute gültige „Coogan Act“ statuiert: Ein Gesetz, das die Ausbeutung von Kinderstars unterbinden soll. Und da sind wir schon beim ersten Problem: Den Eltern.
Eiskunstlauf-Mütter und Aasgeier
Natürlich gibt es viele Kinder, die gerne im Mittelpunkt stehen und von einer Karriere als Schauspieler träumen. Doch häufig sind es auch die Eltern, die den Nachwuchs zu Schauspielunterricht und Castings schleifen – in der Hoffnung, die große Kohle zu machen. Der Druck, dass vielleicht die ganze Familie nur von den Einnahmen des jungen Schauspielers lebt, lastet auf den schmalen Schultern der Kinderstars.
Nur 5 von 100.000 Kindern verdienen aber ihren Lebensunterhalt mit dem Schauspielern. Finanzielle Ausbeutung durch Verwandte wird zwar im Coogan Law reguliert, aber es müssen nur 15 % der Einnahmen bis zur Volljährigkeit des Kinderdarstellers in einem Treuhandfonds angelegt werden. Auf den Rest des Vermögens greifen viele Eltern oder Erziehungsberechtigte gerne mal zu.
Ain’t no business like Show Business
Auch Produzenten sehen Kinderstars mitunter nur als Goldesel: Der Druck, die gewünschte Leistung in den engen Produktions-Zeitplänen abzuliefern, kann für Heranwachsende schnell zu viel werden. Das harte Show Business ist kein Zuckerschlecken für zarte Kinderseelen.
Und trotz Arbeitsschutzregelungen, die vor allem in Kalifornien sehr streng sind, werden immer wieder Wege gefunden, die Regulierungen zu umgehen, um noch mehr aus den Kinderstars herauszupressen: Man dreht z.B. einfach in einem anderen Bundesstaat, wo das Kind längere Arbeitszeiten durchhalten muss, gefährliche Stunts selbst durchführen darf oder die Schulpflicht etwas gelockert ist.
Wo bleibt die Kindheit der Kinderstars?
Privatleben, Schule, Freunde, Kindheit: All das rückt für Kinderstars in den Hintergrund. Lange Drehtage, Filmpremieren auf der ganzen Welt, Interviews und Anproben bestimmen den Tagesablauf. Junge Schauspieler werden durch den fehlenden Kontakt zu Gleichaltrigen oft schneller erwachsen, entwickeln sich zu Einzelgängern und werden sogar ausgegrenzt und gemobbt. Im hellen Rampenlicht und durch die Kameralinse wird außerdem jede Unsicherheit, die Pubertierende nun mal haben, vergrößert und vervielfacht.
Das Publikum, die Kritiker und die Medien können ungefiltert ihre Meinung über Talent, Aussehen, Privat- und Liebesleben der Heranwachsenden äußern. Auch die für die Pubertät typische Rebellion wird entweder unterdrückt – oder vor der ganzen Welt ausgelebt. Mary-Kate Olsen, die mit ihrer Zwillingsschwester Ashley gemeinsam die kleine Michelle Tanner in „Full House“ verkörperte und danach lange an Magersucht litt, sagte: „I look at old photos of me, and I don't feel connected to them at all. I would never wish my upbringing on anyone... but I wouldn't take it back for the world.“
Leben in einer realitätsfremden Scheinwelt
Oft endet die Karriere mit der Pubertät oder spätestens dem Eintritt ins Erwachsenenalter. Die niedlichen Kindergesichter kriegen Pickel, die zarte Statur ist Schnee von gestern und das Gesicht, das die ganze Welt kannte, wirkt auf einmal fremd. Plötzlich wird der erfolgsverwöhnte Kinderstar nicht mehr gebucht, die Welt hat sich an ihm sattgesehen, er verliert den Halt. „Das Problem entsteht dann“, so Kinderstar-Expertin Dr. phil. Gabrielle Bieber-DeIfosse, „wenn das Kind sein Selbstbewusstsein über die Funktion beim Film und Fernsehen aufbaut. Durch den Karrierebruch kann das seinen Selbstwert mindern.“
Der Erfolg, über den man sich definiert hat, bleibt aus, das Konto ist leer und die falschen Freunde wenden sich ab. Isolation, Depressionen, Essstörungen und Alkohol- und Drogenmissbrauch sind die Folgen. Auch Größenwahn gesellt sich manchmal dazu: Dann bauen die ehemaligen Kinderstars im Alkohol- oder Drogenrausch Autounfälle oder geraten mit dem Gesetz in Konflikt, weil sie sich für unbesiegbar halten.