Ein Gespräch mit dem Regisseur über seinen neuen Film „Rimini“.
Richie Bravo ist ein Schlagerstar. Aber er ist in die Jahre gekommen, ist gekennzeichnet von Bauchansatz und den Folgen jahrelangen Alkoholkonsums. Richie hat nie aufgegeben: Im winterlichen Rimini belebt er einen Adria-Badeort mit seinem Charme und seiner Verführungskunst; die Lieder klingen prächtig, die Liebesdienste hinterher gibt es für die betagte Kundschaft gegen Aufpreis.
Ulrich Seidls "Rimini" (derzeit im Kino) hat gerade erst den großen Diagonale-Spielfilmpreis gewonnen. Wir trafen den Regisseur zum Interview.
HD Austria: Herr Seidl, muss man Schlagermusik lieben, um einen Film wie "Rimini" drehen zu können?
Ulrich Seidl: Man muss das Genre schon schätzen, sonst hätte ich keinen Film daraus machen können und ich wäre nicht auf die Idee gekommen, einen Schlagersänger als Hauptfigur auszusuchen.
Was macht Schlagermusik aus? Woher kommt die Faszination?
Ich glaube, die Schlagermusik erzeugt Emotionen bei den Menschen, die Schlager hören. Es spielen hier Sehnsüchte eine große Rolle: Die Sehnsucht nach Liebe, die Sehnsucht nach einem bestimmten Partner. Da spielt auch immer wieder der Schmerz eine Rolle, das Verlassenwerden oder auch die Sentimentalität und Melancholie, Gedanken von einer vergangenen schönen Zeit und die Hoffnung, dass man quasi eines Tages doch die große Liebe trifft. Es ist, wie es der Richie Bravo im Film sagt: Er schenkt oder verkauft den Menschen Träume, und was ich dabei ganz wichtig finde, ist, dass er das, was er singt, ganz ehrlich meint. Dass er kein Zyniker ist und nicht aus reinen Geschäftsgründen auf dieser Bühne steht und singt, sondern dass es ihm wichtig ist, Menschen damit zu beglücken.
Vielleicht rümpfen manche Leute deshalb die Nase über die Schlagerwelt, weil eine solche Ehrlichkeit nicht allzu oft gegeben scheint. Da steht doch der Kommerz im Vordergrund.
Das kann ich nicht sagen, aber möglicherweise ist die Musik vielen Menschen zu einfach. Mancher Schlager ist nicht tiefgründig, man kann sagen, er ist oberflächliche oder leichte Kost. Und es gibt wie in allen Ausdrucksformen auch hier Unterschiede. Schlager ist nicht gleich Schlager. So wie Film nicht gleich Film ist.
Gutes Stichwort. Filme verkaufen auch Illusionen, wie die Schlagermusik. Aber auf Ihre Filme trifft das nicht zu, oder?
Das stimmt, ich glaube, meine Filme haben wenig mit Illusion zu tun. Sie sind eher eine Bestandsaufnahme oder Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft, mit unserer Zeit anhand von bestimmten Menschen, über die man Geschichten erzählt. Und das so wirklichkeitstreu und authentisch, wie es eben gehen kann, damit man sich als Zuschauer in dieser Welt auch wiederfindet. Das ist mir ganz wichtig: Dass man sich in meinen Filmen erkennt, weil sie Lebensumstände widerspiegeln, die einen selbst auch betreffen, wenn man ehrlich zu sich selbst ist. Deshalb versteht man den Richie Bravo auch gut, weil man so manche Abgründe in ihm kennt. Ich finde Menschen sympathisch, die so wie er ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen, es aber immer wieder versuchen.
Wie haben Sie diese Geschichte eigentlich gefunden?
Als ich mit Michael Thomas "Import/Export" drehte, wusste ich, wir würden noch einen weiteren Film gemeinsam machen. Die Art, wie er singt, aber auch sein Charme, das war Inspiration für Richie Bravo. Dieser in die Jahre gekommene Charmeur mit seinem "Küss die Hand", einfach grandios. Die Figur wollte ich in einem anderen Film unterbringen, eine Geschichte um einen Entertainer in einem Ferienclub. Es sollte ein episodischer Film über Massentourismus werden, aber er ließ sich nie umsetzen. Die Figur des Richie Bravo blieb bei mir, in Verbindung mit der Geschichte seines Bruders und des Vaters.
Wieso Rimini? Waren Sie dort schon in Ihrer Kindheit?
Ja. Ich bin mit meinen Eltern in den 1960er Jahren im Kindesalter dort gewesen, und mich interessierte für diesen Film das Gegenteil der Sommerzeit: Für mich waren es Bilder von der Adria im Nebel, wo im Winter fast alles zugesperrt ist und es diese Sommerstimmung nicht gibt. Man muss ja die Frage stellen: Ist der Sommer mit den überfüllten Stränden und den Massen an Touristen wirklich ein Idyll? Oder kann das nicht auch Tristesse bedeuten? Dagegen hat der Winternebel mit dieser Verlassenheit, dieser Leere für mich auch etwas Idyllisches. Ich empfinde das durchaus als poetisch.