Steven Spielberg wird am 18. Dezember 75. Sein neuer Film, ein Remake des Musicals „West Side Story“, kommt in die Kinos. Im Interview zieht er Bilanz über seine Karriere.
Von Matthias Greuling
Sein Name ist ein Markenzeichen. Wer einen Film von Steven Spielberg anschaut, weiß, dass ihn schillernde Figuren, opulente Geschichten und überwältigende Bilder erwarten. Das gilt wohl auch für Spielbergs jüngstes Werk, das Musical-Remake „West Side Story“, das pandemiebedingt in Österreich erst nach dem Lockdown anlaufen wird. Spielberg, das einstige Wunderkind des Kinos, das uns Filme wie „Der weiße Hai“, „E.T.“, „Jurassic Park“ oder „Schindlers Liste“ brachte, feiert am 18. Dezember seinen 75. Geburtstag. Im Interview erzählt der Regisseur über die Magie des Kinos und über die österreichischen Wurzeln seiner Familie im steirischen Spielberg.
Die „West Side Story“ist eine neuerliche Zusammenarbeit mit Disney. Welchen Spirit erleben Sie dort?
Steven Spielberg: Als Kind war Walt Disney meine Inspiration. Damals kam gerade das Fernsehen auf und meine Eltern hatten etwas dagegen, dass ich mir dort Programme wie die Polizeiserie „Dragnet“ ansah und schickten mich stattdessen in Disney-Filme. Was sie nicht ahnten, war, dass es in Disneys Animationsfilmen viel mehr Horror und Drama und Angst gab als in jeder Episode „Dragnet“. Meine Eltern haben mich zu Disney gebracht und ich wurde traumatisiert. Zugleich wurde ich davon aber auch verzaubert und erleuchtet.
Haben Sie diese Filme inspiriert?
Sicher. Aber es kam auch viel aus mir selbst. Als kleiner Bub hatte ich andauernd furchtbare Alpträume. Meine Eltern waren ratlos, was sie mit mir anstellen sollten. Sie brachten mich zum Arzt, der auch nicht wusste, wieso ich nachts schreiend aus dem Schlaf hochschreckte. Ich konnte meine Fantasie nicht kontrollieren, sie war extrem ausgeprägt.
Sie werden demnächst 75. Warum arbeiten Sie eigentlich immer noch so viel?
Für mich ist das Filmemachen keine Arbeit. Für mich ist es ein Hobby, ein Geschenk und eine große Freude. Natürlich: Wir arbeiten alle hart und der Job ist unglaublich anstrengend, aber ich würde diese Tätigkeit nicht in dieselbe Wortgruppe mit Arbeit stecken. Es ist wie eine kreative Notwendigkeit, diesen Beruf auszuüben, wie ein permanentes Jucken auf dem Rücken, das ich mit den Händen nicht erreichen kann und das mich antreibt. Meinen Kindern hat das jedenfalls nie gefallen, denn ich bin spät nach Hause gekommen, oder sie haben mich am Set besucht, aber ich hatte kaum Zeit für sie und das lange Warten hat sie zermürbt. Das ist wohl auch der Grund, dass keines meiner sieben Kinder Regisseur geworden ist.
Ist das Kino heute noch immer ein magischer Ort für Sie?
Ja, unbedingt! Ich glaube, es ist manchmal sehr gut, sich in einem Märchen zu verlieren, denn dafür sind Filme ja gemacht: Um eine Pause von der realen Welt zu haben und die Hoffnung zu finden, dass man seine eigenen Träume verwirklichen kann. Das kann in der heutigen Welt nicht schaden.
Es gibt in Ihrer Filmografie eine Zweiteilung in all die märchenhaften Fantasy-Filme und die eher ernsten Stoffe. Brauchen Sie diese Genrewechsel als Korrektiv?
Gute Frage. Ich habe keinerlei Plan, was meine Karriere betrifft. Ich setze keine bewussten Kontrapunkte zu dem, was ich zuletzt gemacht habe. Mein Motto ist nicht: Zuerst einen Film für die ganze Familie, danach einen für eine bessere Gesellschaft. In meiner Kunst suche ich nicht nach einer Balance. Sondern da geht es nach dem Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ich erzähle die Geschichten, von denen ich glaube, dass sie erzählt werden müssen.
Dennoch muss es bei Ihnen doch diesen internen Schalter geben: Als Sie 1993 „Schindlers Liste“ drehten, waren Sie an den Abenden damit beschäftigt, „Jurassic Park“ zu schneiden. Was für ein Gegensatz!
Ja, das war schrecklich und fühlte sich wie ein Peitschenhieb an. Ich hatte sehr viel Herz in „Jurassic Park“ gesteckt, und als ich danach „Schindlers Liste“ drehte, konnte ich nicht mehr an die Saurier denken. Doch weil damals noch nie jemand einen Film gemacht hatte, in dem die Stars digital kreiert wurden, musste ich darauf besonders genaues Augenmerk legen. Ich brauchte jeden Abend eine Stunde, um runterzukommen und nicht zornig auf die unschuldigen Mitarbeiter von ILM zu werden, die die Dinosaurier entwarfen und die auf mein Feedback und die Abnahme warteten. Zum ersten Mal in meinem Leben geriet ich in einen Zwiespalt. Ich musste mich um Dinosaurier kümmern, die mir plötzlich nichts mehr bedeuteten, während mir die Geschichte von „Schindlers Liste“ plötzlich alles in meinem Leben bedeutete. Ich musste beides unter einen Hut bekommen, und das Ganze mit dem Antlitz eines Gentleman.
Ihr Nachname Spielberg . . .
. . . stammt von einem kleinen Ort in Österreich! Spielberg hat mir vor zehn Jahren sogar das Ortsschild geschickt! Ich wusste nicht einmal, dass es eine Stadt gibt, die so heißt wie ich. Aber im Ernst: Mein Vater recherchierte unsere Familiengeschichte bis ins frühe 19. Jahrhundert. Wir waren angeblich Diener eines gewissen Barons von Spielberg, bei dem es üblich war, dass seine Untertanen ihre Namen ablegten und den ihres Herrn annahmen. Unser Name ist also nicht Teil unserer genetischen Familiengeschichte. Wir wissen nicht, wer wir waren, sondern nahmen einen Namen an, der uns nicht gehörte.