In Venedig gewann Yorgos Lanthimos mit „Poor Things“ den Hauptpreis - die Stars blieben wegen des Schauspieler-Streiks größtenteils fern.
Von Matthias Greuling / Fotos: Katharina Sartena
Eigentlich hätte heuer zum Auftakt des 80. Filmfestivals von Venedig Jungstar Zendaya über Venedigs roten Teppich schreiten sollen, zur Premiere von Luca Guadagninos Tennisdrama „Challengers“. Doch der Film musste zurückgezogen werden, vor allem deshalb, weil die US-Schauspieler in einen nun schon Monate andauernden Streik getreten sind, der ihnen die Arbeit an einem Film, aber auch die Promotion dafür verbietet. Folglich musste man die US-Stars am Lido heuer mit der Lupe suchen.
Einige verirrten sich trotzdem hierher, erhielten eine Sondererlaubnis der Gewerkschaft, darunter etwa Jessica Chastain, Patrick Dempsey, Mads Mikkelsen oder Adam Driver. Am Ende ging der Film „Poor Things“ von Yorgos Lanthimos als Sieger vom Feld: Ein Triumph, der vor allem durch seine grandiose Hauptdarstellerin Realität geworden ist: In „Poor Things“, für den es den Goldenen Löwen gab, ist Emma Stone als Bella Baxter zu sehen, eine junge Frau, an der Vieles ziemlich entrückt wirkt. Es stellt sich schnell heraus, dass sie eine Art Frankenstein-Experiment des Wissenschaftlers Godwin Baxter (Willem Dafoe) ist. Hochschwanger hat sich Bella in den Tod gestürzt, ihr Körper landet auf dem Tisch des experimentierfreudigen Baxter, der das Gehirn ihres ungeborenen Babys in den Kopf der Mutter verpflanzt. Nach erfolgreicher Wiederbelebung ist Bella, die ihren Schöpfer Godwin gerne God nennt, eine junge Frau mit dem Gemüt eines Kleinkindes, das aber auch in großem Selbstbewusstsein den eigenen Körper und bald auch die eigene Sexualität entdeckt. Dabei behilflich ist ihr der schmierige Anwalt Duncan Wedderburn (Marc Ruffalo) - „Poor Things“ ist nicht nur ein sehr erotischer Film, sondern auch ultrakomisch und skurril, und stellt die Frage, was Wissenschaft eigentlich darf. So stilsicher, wie Lanthimos diesen Trip inszeniert, war ihm der Hauptpreis gewiss. Und für Emma Stone kann es für diese feministisch angehauchte Frankenstein-Version am Ende nur der Oscar werden.
Mit „Poor Things“ gewann hier der frühe Top-Favorit auf den Goldenen Löwen, und auch sonst ist die Jury um den Regisseur Damien Chazelle weithin den Kritikerlieblingen gefolgt. Zum Beispiel im Fall von „El conde“ des chilenischen Regisseurs Pablo Larrain. Der unternimmt einen Ausflug in eine Art Paralleluniversum, in dem der chilenische Diktator Augusto Pinochet (Jaime Vadell) nicht 2006 verstorben ist, sondern als Vampir bereits seit 250 Jahren lebt. Dafür gab es in Venedig den Preis für das beste Drehbuch. Den Großen Preis des Festivals erhielt Ryusuke Hamaguchi für das stoisch-poetische Drama „Evil Does Not Exist“, in dem die Ruhe eines Dorfes, das im Einklang mit der Natur existiert, gestört wird, weil man dort einen Glamping-Platz errichten will. Als bester Regisseur wurde der Italiener Matteo Garrone für seinen Film „Io Capitano“ geehrt: Ein Film über die Flüchtlingskrise, der die Odyssee zweier junger Männer beschreibt, die Dakar verlassen, um Europa zu erreichen. Ebenfalls hochpolitisch ist „Green Border“ der Polin Agnieszka Holland, die das Flüchtlingsleid an der „grünen Grenze“ zwischen Belarus und Polen in harten Bildern nachzeichnet - die Jury verlieh ihren Spezialpreis an diesen aufwühlenden Film.
Bei den Schauspielern räumten Cailee Spaeny in „Priscilla“ (von Sofia Coppola) und der US-Schauspieler Peter Sarsgaard in „Memory“ ab. Spaeny spielt in dem recht durchschnittlichen Bio-Pic Priscilla Presley, die einstige Ehefrau von Elvis Presley, während Sarsgaard im Film von Michel Franco einen Demenzkranken mimt.