In Venedig triumphierte der Dokumentarfilm, aber auch das österreichische Kino.
Wer seinen Film in Venedig beim Filmfestival vorstellt, der kann sicher sein: Nirgendwo sonst auf der Welt ist das Augenmerk auf qualitative Filme, aber auch auf potenzielle Oscar-Kandidaten derzeit größer als am Lido von Venedig. Alberto Barbera, der Festival-Chef, hat die älteste Filmschau der Welt (heuer zelebrierte man die 79. Ausgabe) in wenigen Jahren zur Star-intensivsten, hochkarätigsten Filmveranstaltung des Jahres gemacht - selbst Cannes sieht gegen Venedig alt aus, auch, weil Venedig sich nicht der Streamingdienste verwehrt und heuer gleich fünf Netflix-Titel zeigte. Daher fanden sich hier Stars wie Harry Styles, Christoph Waltz, Olivia Wilde, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Timothée Chalamet oder Penelope Cruz ein, um neue Werke zu zeigen.
Die Jury von Julian Moore interessierte sich aber weniger für große Namen: Sie zeichnete den Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ der US-amerikanischen Regisseurin Laura Poitras (Oscar für „Citizenfour“ über Edward Snowden) über die Fotografin Nan Goldin mit dem Goldenen Löwen aus. Der Film erzählt von Goldins Leben, ihrem künstlerischen Schaffen und ihrem Kampf gegen die Familie Sackler, die für die Vermarktung des stark abhängig machenden Medikaments Oxycontin und Kultursponsoring bekannt ist. Goldin war selbst abhängig davon und organisierte Proteste gegen das Medikament und seine Vermarktung, die der Film aufgreift. „Ich danke der Jury beim Filmfestival Venedig dafür, dass sie mit dem Preis für meinen Film besonders die Stellung des Dokumentarfilms hervorgehoben hat“, sagte Poitras bei der Preisverleihung. „Und außerdem sollten wir alle etwas unternehmen, um die Freilassung von Jafar Panahi zu erwirken“, so Poitras.
Panahi war der zweite große Gewinner in Venedig: Der Regisseur sitzt seit Monaten in Haft, weil er 2010 wegen „Propaganda gegen das Regime“ zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Für „No Bears“ bekam er nun in Abwesenheit den Spezialpreis der Jury. Panahi hatte in der Vergangenheit trotz Arbeitsverbot im Iran und Ausreisesperre mehrere Filme gedreht und sie auf USB-Sticks zu den Festivals geschickt.
In „No Bears“ spielt der 62-jährige Panahi sich selbst. Seit kurzem hält er sich im Film in einem kleinen iranischen Dorf in Grenznähe auf, sein Land darf er nicht verlassen. Aus der Ferne dreht er via Videoschaltung einen Film über ein Paar, das den Iran verlassen will. Neben dieser Geschichte geht es auch um die Geschehnisse im Dorf, dessen Bewohner Panahi ist. Ein starkes Ausrufezeichen eine Künstlers, der unentwegt gegen alle Widerstände ankämpft.
Bester Regisseur wurde der italienische Regisseur Luca Guadagnino für den Film „Bones and All“, in dem Timothée Chalamet als Kannibale durch die USA zieht, um seine Opfer zu verspeisen. Der Preis für die beste Schauspielerin ging an Cate Blanchett für ihre Rolle in "Tár" (Regie: Todd Field). Darin spielt die 53-Jährige die fiktive erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker namens Lydia Tár. Sie hat alles erreicht, was man als Dirigentin schaffen kann. Dennoch hadert sie mit ihrer Stellung als Frau in einer schier unbezwingbaren Männerdomäne der Kunst. Colin Farrell erhielt für „The Banshees of Inisherin“ den Preis als bester Schauspieler. Ein launiger Film, ganz famos gespielt und in pointierter Weise inszeniert.
Zu einem Triumph wurde Venedig heuer für den österreichischen Film. „Eismayer“ von David Wagner gewann den Hauptpreis der Kritiker-Woche - die Geschichte über einen schwulen Ausbildner beim Bundesheer wurde in Venedig zum Publikumshit. Das Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel gewann in der Reihe „Orizzonti“ den Regiepreis für ihr einfühlsames Porträt „Vera“ über die Tochter des italienischen Leinwand-Stars Giuliano Gemma. Zwei hervorragende Filme, die dem österreichischen Film wieder Auftrieb geben werden - auch beim heimischen Publikum.